Let’s talk about … Grenzen 😉

 

Grenzen setzen – ein evolutionär bedingter Impuls

Wir sind dafür gemacht, Grenzen zu setzen. Durch unsere lange vielfältige evolutionäre Vergangenheit sind wir darauf programmiert, Grenzen zu ziehen, denn schnelle entweder-oder-Entscheidungen waren früher überlebenswichtig.

Auch heute dient das Kennen und Wahren unserer persönlichen Grenzen aus der Sicht unseres autonomen Nervensystems noch unserem „Überleben“. Wir unterscheiden Situationen permanent danach, ob sie sicher, bedrohlich oder gefährlich sind. Wenn wir uns sicher fühlen, dann verhalten wir uns zugewandt und freundlich kommunikativ, fühlen wir uns bedroht reagieren wir mit Kampf- oder Fluchtstrategien und wenn wir in ernsthafter Gefahr sind, schalten wir ab. Wenn wir ressourcevoll und unser Nervensystem flexibel ist, gehen wir danach automatisch wieder zurück in die Zugewandtheit.  

Und das gelingt oft sehr gut. Du kannst dich bestimmt an viele Situationen erinnern, an denen du gespürt hast, dass du etwas anderes brauchst und etwas abgelehnt hast. Sei es ein Treffen mit anderen Menschen, einen zusätzlichen Arbeitstermin, eine Aufgabe, eine Idee von anderen oder wo du einfach Abstand zwischen dir und jemand anderen gebracht hast.

Aber eben nicht immer. 

 

Es ist wichtig die eigenen Grenzen zu kennen und zu wahren 

Die Wahrung der persönlichen Grenzen dient heute meist nicht mehr dem direkten Überleben – aber dem indirekten. Wenn es uns nicht gelingt unsere Grenzen zu wahren, wir eine „Bedrohung“ nicht loslassen können oder sie einfach permanent besteht, dann kann unser Nervensystem nicht entspannen. Das schadet unserer seelischen und körperlichen Gesundheit und unseren sozialen Beziehungen. Erst wenn ich mir meiner eigenen Grenzen bewusst bin, kann nährender Kontakt und schließlich Beziehung entstehen. Andernfalls verkümmern wir. 

Aus diesem Grund möchten wir im Folgenden statt „Grenzen setzen“ auch immer wieder von einem „Rahmen des Gelingens“ (oder Rahmen für dein gutes Leben)  sprechen. 

Welchen Rahmen möchtest du dir geben, um aufzublühen? Welchen Rahmen benötigst du um freudvoll durch dein Leben zu gehen? Welchen Rahmen brauchst du, um dich weiterzuentwickeln und zu wachsen? Wenn du diesen Rahmen erkundest wird es dir bestimmt passieren, dass sich manche Bedürfnisse widersprechen. Vielleicht möchtest du Zeit für dich und gleichzeitig möchtest du für deine Freunde da sein. Herzlich willkommen in der komplexen Welt. Die Welt ist in der Regel nicht Schwarz oder Weiß, sondern hält viele Abstufungen für uns bereit. Das macht es nicht immer einfacher, aber es werden jede Menge Möglichkeiten geschaffen. 

 

Erkunde deine Grenzen und gestalte den Rahmen für dein Leben

Die eigenen Grenzen zu erkunden ist ein dauerhafter Prozess. Es wird immer wieder Situationen im Leben geben, die bekannte Grenzen in Frage stellen, neue Grenzen benötigen oder entstehen lassen oder Grenzen klären. Es ist ein Prozess der bedeutet die eigene innere Stimme wahrzunehmen, darauf zu vertrauen und sich selbst wichtig zu nehmen. Das gelingt an manchen Tagen besser als an anderen. Aber es ist ein sehr lohnender Weg, denn jeder Schritt hinterlässt eine neue Klarheit. Und jede klar gelebte Grenzen sorgt dafür, sich die eigenen Bedürfnisse zu erfüllen und nicht in einen Mangel zu gelangen. Denn dann bist du nicht mehr wirksam.

Um das ganze Feld aufzuzeigen, möchten wir die unterschiedlichsten Grenzen vorstellen, um deine Selbstkenntnis zu erhöhen. Lies sie dir einfach durch und habe dabei folgende Fragen im Sinn: 

  • In welchen Bereichen, Situationen oder Beziehungen kennst du dich gut und bist ganz klar?
  • In welchen Bereichen, Situationen oder Beziehungen erlebst du dich immer mal wieder als unklar oder es fällt dir schwer, für deine Grenzen einzustehen?
  • Gibt es andere Unterscheidungsmerkmale die dir auffallen, wie Beruf oder Privat? Freunde oder Familie? Ausgeschlafen und fit oder hungrig und müde? 

Körperliche Grenzen: Jeder Mensch hat ein unterschiedliches Bedürfnis in Bezug auf Nähe und Distanz. Vieles davon ist kulturell oder durch die Sozialisation geprägt. Körperliche Grenzen helfen dir deinen persönlichen Raum zu wahren, deine körperlichen Bedürfnisse, wie Ruhe, Essen, Durst usw. zu stillen.

Sexuelle Grenzen: Grenzen in Bezug auf Praktiken, einschließlich Zustimmung, sexuelle Bedürfnisse und Intimität.

Emotionale Grenzen: Fühlst du dich manchmal wie der seelische Mülleimer für andere? Dann wird deine emotionale Grenze überschritten. Vielleicht ist dir auch einfach jemand zuviel von der Emotion oder dem Energielevel und du hast das Gefühl es selber nicht halten zu können.

Materielle Grenzen: Diese Grenzen beziehen sich auf den Besitz und die Weitergabe von Geld und anderen materiellen Besitz und dessen Weitergabe. Sie hängen auch ganz eng an deinem Bedürfnis nach Sicherheit. 

Zeitliche Grenzen: Deine Zeit ist endlich, dessen solltest du dir bewusst sein. Sei also immer wieder achtsam mit deiner Zeit. Wieviel Zeit wendest du für was auf? Denke dabei nicht nur an deine Aufgaben, sondern einfach auch Zeit für dich und andere.

Intellektuelle Grenzen: Hier geht es um deine Sichtweisen und Überzeugungen und diese auch zu vertreten. Es bezieht sich aber auch auf die Gedanken, Ideen und Meinungen von anderen und inwiefern du sie respektieren kannst und willst.

 

Ich hoffe du hattest die ein oder andere Erkenntnis bei der Erkundung deiner Grenzen. Und zeitgleich wirst du die meisten Erkenntnisse im wahren Leben haben. Denn Grenzen entwickeln sich am Gegenüber. 

„An der Grenze findet Berührung statt und auch Trennung.“ 

                                                                                                           Lore Perls

 

 

Sich und die eigenen Grenzen zu kennen ermöglicht authentische Begegnung 

 

Erst wenn du dir deiner eigenen Grenzen bewusst bist kannst du in einen wirklichen, echten Kontakt treten. Ein Kontakt in dem du dein wahres Ich spürst. Du musst dich nicht verstecken oder zurückziehen, sondern kannst deinem Gegenüber authentisch und in deiner Präsenz begegnen.

 

Aber selbst wenn wir unsere Grenzen kennen …

…passiert es immer wieder, dass wir sie nicht – konsequent – wahren. Das wird auch nach dem Lesen dieses Artikels immer wieder passieren, aber sei dir dennoch bewusst, dass du dich als Person mit deinen Bedürfnissen mit jedem Mal ein wenig mehr zurücknimmst. Und dabei meine ich auch in den Momenten, wo du es vielleicht auch ganz bewusst machst, weil dir jemand anderes sehr wichtig ist und du ihm einfach etwas Gutes tun möchtest. Oder einfach sehr viel Freude an den Dingen hast, die du gerade tust und die dich daran hindern Pause zu machen. Denn auch solche Aktionen haben ihren Preis. 

Aber jetzt mal langsam. Was gibt es für – scheinbar gute Gründe – unsere Grenzen ab und an über Bord zu werfen?

  • Wir haben gelernt, dass wir Anerkennung, Bestätigung und Liebe bekommen, wenn wir etwas für andere machen. 
  • Wir haben gelernt uns selbst nicht so wichtig zu nehmen wie unser Gegenüber. 
  • Wir haben Angst vor Ablehnung oder Trennung.
  • Wir sorgen uns, das unser Gegenüber traurig oder wütend wird und uns die Verantwortung für seine Gefühle zuschiebt.
  • Wir merken erst nach der Situation, dass unsere Grenze nicht gewahrt wurde oder wir sie selber übersehen haben. 

Wie geht es dir beim Lesen? Wenn es dir so wie mir geht, schreit dein Kopf gerade „BULLSHIT. Ich bin auch wichtig. Ich habe es verdient ein gutes Leben zu führen. So eine Beziehung ist es auch nicht wert.“ Aber das Herz bekommt ein wenig Angst, wenn es in die spezifischen Situationen geht.

 

Also …was tun?

Atmen 😉

Und dann Schritt für Schritt sich stark machen für die kleinen und großen Zäunchen um den Rahmen für dein gutes Leben abzustecken. Du bist es wert. 

Jeder gibt sein Bestes.

Sei dir bewusst, dass du und auch dein Gegenüber am „Nein“ wachsen. Denn eine Grenze wird ja nicht aus böser Absicht überschritten und die Unklarheit von Grenzen auch nicht. Jeder gibt sein Bestes und dann heißt es miteinander zu lernen. Sich und die jeweiligen Bedürfnisse kennenlernen. Wenn euch das aus einer inneren Neugier heraus gelingt, wird es bestimmt ein spannender Weg. Falls du auf ein Gegenüber triffst, welches dich dauerhaft für deine Grenzziehung abwertet, dann solltest du überlegen, ob dir das auf Dauer gut tut und auch das kommunizieren. Vielleicht hilft eine kleine Pause.

Vertraue dir.

Durch  „Neurozeption“ – die unbewusste Sinneswahrnehmung aus der Umwelt mittels neuronaler Schaltkreise – unterscheiden wir Situationen permanent danach, ob sie sicher, bedrohlich oder gefährlich sind.  So fühlen wir eine „Verletzung“ ohne sie direkt in Worte fassen zu können. Vertrau deiner Wahrnehmung. Spüre deinem Erleben nach. Mach dir Notizen. Was hat dich verletzt. Versuche dem Ganzen auf die Spur zu kommen. Lass dir nicht einreden, dass du überreagierst.

Übernimm Verantwortung.

Manchmal ist die Situation vielleicht zu groß für dich. Du hast das Gefühl, dass du die angetriggerten Gefühle nicht halten kannst. Dann passiert es schnell, dass man sich zurückzieht, aus dem Kontakt geht und damit auch die Verantwortung abgibt. Denn dein Gegenüber wird möglicherweise den Kontakt suchen – und dann bist du wieder in der Situation. Deshalb nimm deine Verantwortung wahr, sorge für dich, setze deine Grenze.

 

Sei es dir wert.

Wenn dich die Angst packt und du lieber einfach ja sagen würdest, als nein, dann stelle dir die folgenden Fragen von Marvin Weisbord & Sandra Janoff:

  • Was ist mit deiner Integrität? 
  • Was passiert mit deiner Selbstachtung?

Denke noch einmal an die vielen guten Gründe, die für klare Grenzen sprechen. Und denk einfach mal an dich. Wenn es dir gut geht, dann geht es auch allen anderen gut.

Sei klar.

Setze deine Grenzen klar und empathisch. Beschreibe, was passiert ist. Schildere, wie es dir dabei ergangen ist. Und kommuniziere deutlich deine Grenze. Beschreibe was du dir statt dessen wünschst und mache es mit einem Beispiel deutlich. Wenn dein Gegenüber die Grenze anerkennt, dann bedanke dich und bekräftige deine Grenze dabei noch einmal. 

Sei verbindend.

Sage ganz klar, was du nicht möchtest, wo deine Grenze liegt – bleibe im Kontakt und suche nach Alternativen, in denen sich die Bedürfnisse des Anderen wiederfinden können. Mache ein Angebot wozu du bereit bist. Ein Beispiel: Ich möchte mich heute Abend nicht mit dir treffen – ich könnte …

Karin Kuschik nutzt dafür in ihrem wunderbaren Buch „50 Sätze die das Leben leichter machen“ die Verbindung durch das Wort UND: „Ich verstehe dich absolut UND ich möchte etwas anderes.“

Sei dir bewusst.

Du bist nicht verantwortlich für die Gefühle deines Gegenübers.

Natürlich kann es weh tun, deine Grenzen zu hören, wenn dein Gegenüber so ganz andere Vorstellungen hat als du. Aber wenn er dich und dein Wohlergehen wirklich respektiert, dann wird er deine Grenze wahren. Und auch wenn er seine Trauer zum Ausdruck bringt, sei wachsam, wenn es plötzlich um Schuld geht. Denn dann gibt er dir die Verantwortung für sein Leben. In einer gesunden Beziehung übernimmt jeder die Verantwortung für sich selbst. 

Sei konsequent.

Wenn du deine Grenzen benannt hast, ist es wichtig auch danach zu handeln und sie nicht selbst ab absurdum zu führen. Sei dir dabei immer bewusst, dass Grenzen dich dabei unterstützen, Beziehungen mit anderen zu klären, zu stärken und so aufrechtzuerhalten.

 

Der Andere muss meine Grenze wahren. Ein Irrtum.

Manchmal ist man völlig überrascht, dass die eigenen Grenzen nicht vom Anderen respektiert werden. Eine Art Empörung macht sich breit. Allerdings ist der Andere nicht dafür da deine Grenze zu wahren. Dafür bist du verantwortlich. Deine Aufgabe ist, deine Grenze klar und deutlich aufzuzeigen, daran zu erinnern, danach zu handeln und im Falle der weiteren Überschreitung auch Konsequenzen zu ziehen. Was möglicherweise auch ein Beenden von Beziehungen bedeutet. 

Reguliere dich. 

Wenn du sehr aufgewühlt bist, ist es gar nicht leicht die eigenen Grenzen ins Gespräch zu bringen. Versuche dich zu beruhigen, indem du dich aufrecht hinsetzt und mit gerader Wirbelsäule deine Aufmerksamkeit auf deine Bauchdecke legst. Vielleicht kannst du auch eine Hand auf deinen Bauch legen. Atme 3-4 Sekunden tief ein und drücke deinen Bauch gegen deine Hand.  Spüre wie sich deine Bauchdecke hebt und beim Ausatmen, auch 3-4 Sekunden, wieder senkt. Wenn es dir nicht gelingt ruhig zu werden, dann nimm dir deine Zeit. Geh raus, singe, summe. Mach Yoga. All das unterstützt dich zu regenerieren. Vielleicht nutzt du auch direkt die Zeit zur Reflexion. 

Nimm dir die Zeit die du brauchst.

Manchmal benötigt man zunächst Zeit. Um ruhiger zu werden – oder vielleicht auch um sich selber zu schützen zu schnell zu etwas „Ja“ zu sagen. Gerade bei persönlichen Terminanfragen oder zusätzlichen Aufgaben lohnt es sich, sich Zeit zum Nachdenken zu geben.

Begegne deinen Verletzungen mit Selbstmitgefühl.

Wenn du verletzt wirst, erlebst du Leid und vielleicht auch Scham. Da hilft leider kein Pflaster und Ablenkung ist auch nicht von langer Dauer. Diesem Schmerz solltest du mit Selbstmitgefühl begegnen. Selbstmitgefühl beutet, sich die Fürsorge und Freundlichkeit zu gewähren, die man auch anderen lieben Menschen gewähren würde. (Erik van den Brink, Frits Koster: Mitfühlend leben). Sie schlagen eine Art Mantra vor, dass uns bei emotionalem Schmerz immer wieder daran erinnern kann, mitfühlend mit uns selbst zu sein. Du kannst beim Sprechen zur Unterstützung auch gerne die Hand auf die Herzregion legen.

„Dies ist ein Augenblick des Leidens. Leiden gehört zum Leben. Möge ich hier und jetzt freundlich (gütig, liebevoll) zu mir selbst sein.“

 

Manchmal bist du vielleicht auch einfach drüber.

Du wirst auch bei dir Situationen kennen, wo deine Reaktion unangemessen kraftvoll war. Auch das passiert. Du fühlst dich nicht gehört und möchtest deine Grenze mit aller Vehemenz aufzeigen. Dann hast du es einfach nicht gut geschafft dich, zu regulieren und wirst das sicherlich auch gespiegelt bekommen. Mach dich jetzt bitte nicht klein. Du hast dein Bestes gegeben und kannst jetzt daraus lernen. Verlasse die Situation! Nimm dir Zeit, in Ruhe darauf zu schauen und suche aus einer anderen Verfasstheit das Gespräch. 

Nutze die Kraft der Reflexion.

Manchmal ist man sich gar nicht so bewusst, dass die eigenen Grenzen nicht gewahrt werden. Wenn das aber zu oft passiert, sind wir dauerhaft angespannt. Das merkt man, wenn man sich immer wieder Zeit nimmt auf den Tag zu schauen. Wie war dein Tag? Wie ist es dir ergangen? Und sich immer mal wieder die Frage nach Virginia Satir zu stellen: Ist deine Selbstliebe heute größer als deine Selbstkritik? Denn wenn du deine Grenzen ständig nicht wahrst, kann das auch dein Selbstvertrauen schmälern.

 

Hol dir Unterstützung. 

Wenn du das Gefühl hast, alleine nicht weiter zu kommen, dann sorge für Unterstützung. Diese Unterstützung kann ganz unterschiedlich sein. Vielleicht ist es eine Freundin die dich bestärkt, vielleicht ein Buch mit vielen guten Beispielen, vielleicht ist es ein Coach oder oder. Hauptsache du bleibst dran. 

 

 

Es ist ein Prozess

Es wird immer wieder passieren, dass Menschen deine Grenzen übertreten. Sie sind ja leider – oder glücklicherweise – kein sichtbarer, unverrückbarer Gartenzaun. Mit der Zeit wirst du einen immer besseren Umgang damit finden.  Manchmal wirst du nachjustieren. Und ab und an wird es möglicherweise nicht so gelingen. Dann sei freundlich zu dir. Im besten Fall kannst du wie bei Dirty Dancing –  liebevoll bestimmt sagen: Mein Tanzbereich – dein Tanzbereich! 

Stay Gentle!

PS: Durch deine Klarheit beim NEIN wird dein JA freudvoll von Herzen kommen.